Die Ohren schauen zu.
Wer sich in die Nähe der Installationen des Bildhauers Christian Bilger begibt, dem weist der Klang den Weg. Elastische zarte Arme, Zeiger aus Holzstäben, die mit Klebstreifen geradezu verwegen improvisiert verlängert sind, um die Distanz zur Wand zu überwinden, werden angetrieben von einem immerfort drehenden Elektromotor, um die weiße Galerie-Wand schwarz zu bezeichnen.
Dabei rufen diese Zeichenapparate, ja die ganze Installation, der Maschinenraum einen Klang hervor, der sich zusammenfügt aus der Drehung des Malwerkes, dem kleinen Scheibenwischermotor, welcher resoniert über die zwischen Decke und Boden gekeilte Säule aus Konstruktionshölzern und aus dem Reiben und Kratzen des Zeichenstifts auf dem Korpus der Wand. Zuweilen ist es statt der Wand eine Fensterscheibe oder ein großer Zeichenkarton, der hier beschrieben wird. Alles ist sichtbar, nichts ist verkleidet, kaschiert, geschönt. Kein Versteck für hässliche Kabel, kein Anstrich fürs rohe Holz. Auch die Stifte in den Zeigern sind einfach schwarz: nicht etwa blaue oder schöne farbige Spuren, die auch Zeichnungen heißen können, werden gesammelt.
Das Motorengeräusch und das Reiben des Kohlestiftes auf der Wand können zwar unter günstigen Bedingungen zu einem reinen Hör-Genuss werden – in erster Linie aber führen sie die Augen über die Konstruktion. Technik und Anordnung, die Beschaffenheit der Maschinen und ihrer elastisch gespannten Zeigearme, die Fühlern gleich ihre Kreise ziehen, beschäftigen den Blick. Es ist dieses Kratzgeräusch, das Wimmern der Maschine, es sind die tiefen Bässe des Fensterglases, ein Zirpen des nervösen Kupferdrahtes, die Rätsel aufgeben. Gelegentlich überkommt mich eine Ahnung davon, wofür hier Spuren von Kohlezeichen wie Dokumente gesammelt werden: sie sind nur Belege der Ereignisse, die stattfinden. Sie schüren aber auch Zweifel am Vorhandensein von Sinn und Zweck. Und das ist gut so. Das Werk, das Kunstwerk, sind nicht die Zeichnung; das Kunststück entsteht in der Verflechtung von Beobachtungen zwischen den Bewegungen, den Ursprüngen der Geräusche, dem Aufbau, den vermuteten Handlungen des Künstlers und den Handlungen seiner Maschinen. Denn die Repetition im Handeln der Maschine vermittelt keine Botschaft, wenn auch die zufälligen Abweichungen der Spuren - Abweichungen vom genauen Kreis - das Eigenwillige der Maschine behaupten könnten. Andere der Zeichner scheinen sensibler, manche machen ihren Job souverän, nachdem sie offenbar anfänglich Schwierigkeiten mit der exakten Bahn hatten. Auch wenn es diese Abweichungen sind, die an Menschenhandzeichnungen denken lassen, so sind es in erster Linie die schwarzen Kästchen der Motoren, die Relais, die Klebstreifen, Schrauben, Holzkeile, Kabelverbindungen, die Konstruktion und Befestigung der Schalter und Stecker, die Halterungen für die Zeichenstifte, alle zusammen eine Raumzeichnung, die die Menschenhand erkennen lassen: Handlung und Werk, Denken und Absichten. Und plötzlich erscheint die Sonne in der Szenerie: völlig neue Gegebenheiten: der Zeigearm zeichnet in die Schatten des Weinlaubes am Fenster, das begegnet sich alles, unterschiedlich schnell oder unterschiedlich langsam sollte man sagen, näher behört und näher besehen, das tiefe Brummen und der zarte Stift, jetzt hat sich auf dem Zeichenkarton das Fliegengitter - der Sonne sei dank - wie Millimeterpapier abgelichtet: da hinein versucht der Apparat den Kreis zu zirkeln. Der automatische Zeichner ist zu Gast in der Natur: alles Quadrat und Dreieck und Kreis? Und alles bewegt sich - hörbar.
Johannes Kimstedt